Strohschlau bauen

Technik, 25.06.24
Thomas Duschlbauer
Dämmen mit Stroh: oldschool oder zukunfts­weisend? Neueste Beispiele zeigen, was mit Stroh machbar und sinnvoll ist.

Dumm wie Stroh? Von wegen: Stroh kann als Inhalt sehr zweckdienlich sein und eignet sich in der baulichen Hülle perfekt als Dämmstoff mit einer Reihe an Vorteilen. Als Nebenprodukt der Getreideernte ist Stroh ein erneuerbarer Rohstoff, der lokal und in großen Mengen verfügbar ist. Die Verwendung von Stroh bietet insofern eine nachhaltige Alternative zu jenen Dämmstoffen, die nicht aus erneuerbaren Ressourcen hergestellt werden.

Zurück zum Ursprung

Insbesondere im Sinne des Cradle-­to-cradle-Prinzips ist Stroh eine äußerst sinnvolle Option. Während des Wachstums wird CO2 aus der Atmosphäre absorbiert, und auch die Herstellung von Stroh als Dämmmaterial erfordert im Vergleich zu traditionellen Dämmstoffen deutlich weniger Energie, was zu einer insgesamt geringeren Umweltbelastung führt. Darüber hinaus ist Stroh biologisch abbaubar und kann nach dem Gebrauch kompostiert oder als Dünger verwendet werden. Das Stroh kehrt somit dorthin zurück, wo es entstanden ist.

„Uns interessiert vielmehr die Fragestellung, wie sich Bauwerke in ihrer Lebensdauer aufgrund von äußeren Einflüssen verändern und was dieser Wandel für die Raumidee bedeutet.“ – Florian Kaiser und Guobin Shen, Architekten

Ästhetisches Potenzial

Gerade der Umstand, dass die Verwendung von Stroh schon eine sehr lange Tradition hat, verschafft dem Material leider etwas den Charakter von Old-School. Dabei ist seine Verwendung am Bau äußerst vielfältig, und Stroh kann durchaus sehr innovativ eingesetzt werden – etwa in Form von Strohballen oder als Strohmatten in Wänden, Decken und Dächern. Die Wahl des Einfamilienhauses Hoinka in Pfaffenhofen, einer Gemeinde in der Nähe von Heilbronn, zum Haus des Jahres 2023 unterstreicht als Best-Practice-­Beispiel nicht nur die Kreislauffähigkeit und die Vielfalt der Anwendungsmöglichkeiten von Stroh, sondern auch die ästhetischen Möglichkeiten. So würdigt diese Auszeichnung, die von einer Fachjury und dem renommierten Callwey Verlag verliehen wurde, die gelungene Verbindung von Nachhaltigkeit und ansprechendem Design im Kontext eines Strohballenhauses. In Auftrag gegeben wurde das Haus aus Holz, Stroh und Lehm von einem Energieberater.

Lebenszyklus im Fokus

Bemerkenswert dabei ist eben, dass bei diesem Beispiel nicht nur das baulich-statische Objekt, sondern auch der Lebenszyklus eines Gebäudes thematisiert wird, was auch allgemein der Herangehensweise der zuständigen Architekten Florian Kaiser und Guobin Shen entspricht: „Architekt:innen versuchen meist, ‚fertige‘ Häuser, also in sich schlüssige Baukunstwerke für die Ewigkeit zu erschaffen. Aber hält dieser Anspruch der Realität stand? Schließlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich ein Bauwerk nach Fertigstellung verändert. Uns interessiert vielmehr die Fragestellung, wie sich Bauwerke in ihrer Lebensdauer aufgrund von äußeren Einflüssen verändern und was dieser Wandel für die Raumidee bedeutet.“

Kein Baum muss daran glauben

Mit vollökologischen, schimmelresistenten und nicht brennbaren Strohmatten zur Dämmung hat sich mittlerweile ein deutsches Start-up zu einem nennenswerten Player in der Branche entwickelt: Im Strohplattenwerk Müritz in Mecklenburg-Vorpommern werden schnell nachwachsende Reststoffe aus der Landwirtschaft zu hochwertigen Baustoffprodukten weiterverarbeitet. Die Strohplatten eignen sich in der Architektur als Dämmmaterial, im Innenausbau u. a. als Innenwanddämmplatten, Fußbodenelemente und Trennwände sowie für den Möbelbau.