Innenraum
Der Mensch im Zentrum

Im Tübinger Ortsteil Derendingen zeigt ein bemerkenswertes Projekt der KO/OK Architekten Jan Keinath und Fabian Onneken, wie denkmalgeschützte Bauten zukunftsfähig umgenutzt werden können. Eine 1806 errichtete Doppelscheune wurde mit handwerklichem Geschick und nachhaltigem Materialeinsatz zu einem Mehrfamilienhaus mit vier Wohneinheiten transformiert. Dabei wurde der ursprüngliche Charakter des Gebäudes bewahrt und gleichzeitig eine moderne Wohnqualität geschaffen.
»Wir denken Architektur im Lebenszyklus: Je länger ein Gebäude steht und je besser es repariert, ausgetauscht und überarbeitet werden kann, desto nachhaltiger ist es. Dafür braucht es durchdachte Materialwahl, eine kluge Konstruktion und vor allem gutes Handwerk.« Fabian Onneken, Architekt KO/OK Architektur
Von der Straße aus bleibt die historische Gebäudehülle nahezu unverändert. Die prägenden Scheunentore wurden durch senkrechte, naturbelassene Holzlamellen akzentuiert, die großflächige Verglasungen verdecken. Erst in den Abendstunden lässt sich erahnen, dass hinter der historischen Fassade ein modernes Wohnkonzept entstanden ist. Zusätzliche Fensteröffnungen wurden auf das Nötigste reduziert, um die architektonische Identität der Scheune zu bewahren. Auch die Sandstein- und Backsteinsockel wurden sorgsam saniert und fügen sich harmonisch in das bestehende Ensemble aus Kirche, Backhaus und landwirtschaftlichen Bauten ein.
Ein zentrales Anliegen des Projekts war die maximale Wiederverwendung vorhandener Materialien. Viele der ursprünglichen Hölzer, darunter historische Bauteile einer alten Wagnerei, wurden zur Reparatur genutzt. Fehlstellen im Fachwerk konnten mit vor Ort geborgenem Altholz ausgebessert werden – teils in der dritten oder vierten Generation im Einsatz. Die Architekten betonen also ganz bewusst die Bedeutung einer einfachen und materialgerechten Ausführung sowie die maximale Wiederverwendung vorhandener Materialien. „Die Doppelscheune zeigt, wie zukunftsfähiges Bauen im Bestand gelingt: mit maximaler Wiederverwendung vorhandener Materialien, einer materialgerechten Ausführung und einem respektvollen Umgang mit der historischen Substanz – nachhaltig, kreislauffähig und ohne technische Überfrachtung“, so Architekt Jan Keinath, der neue Bauteile aus massiven heimischen Nadelhölzern fertigen und mit traditionellen zimmermannsmäßigen Verbindungen verbauen ließ. Auch die Gefache wurden, wo erforderlich, mit Lehmsteinen ergänzt und außenseitig mit Hanf-Kalkputz versehen.
Die Wohnqualität wird maßgeblich durch das Zusammenspiel von Raumhöhe, Materialwahl und Lichtführung bestimmt. Besonders in den überhohen Aufenthaltsbereichen mit eingestellten Emporen zeigt sich das Potenzial der historischen Struktur. Die ehemaligen Tennen wurden zu offenen, mehrgeschossigen Wohnräumen umgestaltet, deren atmosphärischer Kern die zentral platzierten Holztreppen bilden. Diese dienen im Erdgeschoss als multifunktionale Möbelstücke und entfalten im Dachgeschoss eine skulpturale Wirkung.
Das Projekt wurde als „Effizienzhaus Denkmal“ realisiert und verzichtet weitgehend auf aufwendige Haustechnik. Stattdessen sorgen die diffusionsoffenen, feuchteregulierenden Eigenschaften von Holz, Kalk und Lehm für ein gesundes Raumklima. Diese natürlichen Materialien tragen nicht nur zur Wohngesundheit bei, sondern unterstreichen auch den ressourcenschonenden Ansatz des Umbaus.