Bis an die Substanz

Architektur, 07.12.23
Helena Zottmann
Die 1980er-Jahre sind nicht unbedingt für nachhaltiges Bauen bekannt. Stahlbeton und erdölbasierte Dämmprodukte kennzeichnen die Gebäude dieser Ära. Dass diese Häuser dennoch hochwertig saniert werden können, beweist ein Projekt in Salzburg.

Am Anfang stand der Wunsch, aus der in die Jahre gekommenen Wohnhausanlage ein nachhaltiges Vorzeigeprojekt in Sachen Sanierung zu machen. Die Wohnhausanlage in der Friedrich-Inhauser-Straße in Salzburg bestand aus mehrgeschossigen Einzelgebäuden mit niedrigen Geschosshöhen und einer sanierungsbedürftigen Substanz.

___STEADY_PAYWALL___

2015 wurde eine Studie zur Anlage in Auftrag gegeben, die sich mit der Frage beschäftigte, wie der Bestand genutzt und ein Abriss vermieden werden kann. Der Salzburger Architekt Christoph Scheithauer und sein damaliger Mitarbeiter Stijn Nagels nahmen sich der Studie an und formulierten die ersten skizzenhaften Annäherungen an eine Aufstockung. „Es war durchaus ein Bestand, der auf den ersten Blick nicht als erhaltenswert einzustufen war. Für uns war die Bausubstanz aber auf jeden Fall sanierbar“, erzählt Stijn Nagels.

Aus der Studie wurde ein Forschungsprojekt, das gemeinsam mit Heimat Österreich und Fachhochschulen erarbeiten sollte, wie eine möglichst CO2-neutrale Sanierung von Bestandsbauten durchgeführt werden kann. „Zentrales Ziel des Projekts war die Umsetzung eines Demonstrationsvorhabens, das die Pariser Klimaziele für 2030 einhält“, erklärt Christoph Scheithauer.

„Der Bestand war auf den ersten Blick nicht als erhaltenswert einzustufen, für uns war die Bausubstanz aber auf jeden Fall sanierbar.“ – Stijn Nagels, Architekt

Substanzielle Sanierung

Der Bestand waren Massivbauten aus dem Jahr 1983. Stahlbetondecken, Iso-­Span-Außenwände und geringe Raum­höhen waren von Holzsatteldächern überdacht und mit Holzbalkonen ausgestattet. „Die Balkone und Dächer waren zuletzt in fragwürdigem Zustand und haben den Bestand bereits in der Nutzung gefährdet, teilweise gab es auch Schimmelprobleme im Innenraum“, so Nagels. Außerdem seien die Räume aufgrund der Anordnung der Fenster schlecht belichtet gewesen.

Im Zuge der Studie und der Forschungsarbeit wurden die Details ausgearbeitet: Die bestehende Tiefgarage und der größte Teil der tragenden Wände und Decken konnte erhalten bleiben, in drei von insgesamt acht Stiegenhäusern mussten die Fundamente ertüchtigt werden. Dem Bestand wurden ein bis zwei Geschosse aufgesetzt, um eine abwechslungsreiche Gebäudehöhe zu erreichen. Die Fensterparapete zogen die Architekten für einen großzügigeren Lichteinfall teilweise bis zum Boden.

Nach dem Abriss der Satteldächer wurde eine Auffangdecke als Lastverteilungsplatte eingesetzt, die in den beiden oberen Geschossen frei­ere Grundrisse mit Leichtbauwänden ermöglichte.

Holz drauf und drin

Von außen ist die Aufstockung in Holz ablesbar, der Bestand blieb als weiß verputzte Basis erhalten. Der ehemals bunte Charakter der Siedlung spiegelt sich nach der Sanierung nur mehr in den Stiegenhäusern in Form eines Farbkonzepts für die Orientierung innerhalb der Anlage wider.

Für die Dämmung der Bestandaußenwände und Neubauwände wurde eine Holzkonstruktion errichtet, in die eine Recycling-Zellulosedämmung eingeblasen wurde. In Teilbereichen kam aus brandschutztechnischen Gründen auch Mineralwolle zum Einsatz.

Den Bestand spürt man in der Anlage auch nach der Sanierung noch. In den sanierten Bestandswohnungen, wo die niedrige Raumhöhe nicht verändert werden konnte, wurde mit veränderten Grundrissen und weiteren Fensteröffnungen ein großzügigeres Raumgefühl geschaffen. Die Wohneinheiten im Bestand waren bis zur Sanierung mehrgeschossig, aufgrund der Anforderungen an die Barrierefreiheit ging man im Zuge der Sanierung zu Geschosswohnungen über.

„Zentrales Ziel des Projekts war die Umsetzung eines Demonstrationsvorhabens, das die Pariser Klimaziele für 2030 einhält.“ – Christoph Scheithauer, Architekt

Nachhaltigkeit auf allen Etagen

Im Zuge der Studie und mit dem Ziel des Klimaaktiv Gold Standards wurde ein ökologisches Energieversorgungskonzept verfolgt. Eine Abluft- und Abwasserwärmerückgewinnung mittels Wärmepumpen deckt 75 % des Heizwärmebedarfs, der Rest wird von einer Pelletsheizung erzeugt. Die Photovoltaikanlagen auf den Dächern produzieren Strom für die Direktnutzung und die Einspeisung.

Um das zentrale Ziel des Projektes – ein Vorzeigeprojekt im Sinne des Pariser Klimaabkommens – zu erreichen, wurde neben dem Heizkonzept auch ein nachhaltiges Mobilitätskonzept erarbeitet, das zwar Ladepunkte in der Tiefgarage vermissen lässt, aber dafür alternative Mobilitätsformen wie E-Fahrräder und Carsharing anbietet. Der Anreiz für einen eigenen Pkw sollte damit möglichst gering gehalten werden. „Wir haben mit der Fahrradgarage sogar 3,5 Fahrradstellplätze pro Wohn­einheit erreicht“, so Stijn Nagels.

Das Projekt will langfristig Empfehlungen für Gesetzgeber:innen, Kommunen, Bauträger:innen und Planer:innen anbieten können, weshalb es dokumentiert und wissenschaftlich begleitet wurde.

Großer Aufwand

Die Ausmaße der Aufstockung und der damit einhergehenden Kernsanierung waren nicht von vornherein klar: „Zuerst dachten wir, die Bewohner:innen können während der Aufstockung vielleicht sogar in den Wohnungen bleiben“, erzählen Scheithauer und Nagels, doch schon bald erwies sich das Projekt als ein größeres Sanierungsvorhaben.

Im Zuge der Sanierung wurden alle 75 Parteien der Wohnhausanlage in Ersatzwohnungen umgesiedelt. „Dieser Prozess allein dauerte ungefähr zwei bis drei Jahre“, so Nagels. Nach der Fertigstellung 2021 wurden nur wenige der inzwischen 99 Wohneinheiten wieder von ehemaligen Bewohner:innen bezogen. „Zurückgekommen sind nur jene, die sich in der Anlage bereits verwurzelt gefühlt haben“, sagt Nagels.

Die Bewohner:innen sind seit dem Einzug Mitte 2021 jedenfalls begeistert: Niedrige Betriebskosten und ein Wärmekonzept, das ohne Gas auskommt, erwies sich spätestens seit Anfang 2022 als großer Vorteil.