Im Vollsprint zum Holzprunkstück

Architektur, 28.11.23
Adrian Engel
Sechs Monate. Klingt surreal, ist aber wahr: In nur einem halben Jahr ist das „Forum am Seebogen“ in Wien entstanden. Speedy Gonzalez hätte es wohl nicht schneller geschafft. Was vor ein paar Jahren noch unmöglich schien, ist heute Realität.

Große Bauprojekte können unter einem Jahr, ja in nur wenigen Monaten fertig sein. Dafür ist das „Forum am Seebogen“ der „lebende“ Beweis. Wie die Rekordzeit möglich war? Mit Holz. „Die kurze Bauzeit war wirtschaftlich sogar nur mit Holz möglich“, sagt Josef Saller vom verantwortlichen Architekturbüro „heri&salli“. Besonders beeindruckend ist die Bauphase des Stadthauses, denn pro Woche konnte das Projektteam ein weiteres Geschoss errichten.

„Die kurze Bauzeit war wirtschaftlich sogar nur mit Holz möglich.“ – Josef Saller und Heribert Wolfmayr, heri&salli

Testpilot für die Allgemeinheit

Es ist eine hoffnungsvolle Botschaft, die das Vorzeigeprojekt transportiert: Der technologische Fortschritt erlaubt inzwischen industrielle und zugleich klimaschonende Fertigung von Gebäuden. „Wir haben das Projekt als Prototyp angelegt, um Grenzen auszuloten“, teilt der Geschäftsführer mit. Die Ausgangslage: Die Stadt Wien hatte einen Wettbewerb für ein Mischnutzungsgebäude in der Seestadt Aspern ausgeschrieben, einem großen, neu aufgebautem Stadtteil. Maximal 80 % der Brutto-Grundfläche der Wohnnutzung dienen, der Rest wurde für sogenannte „MiniLABS“, ein Großraumbüro und ein Forum im Erdgeschoss, vorgesehen. Das Projekt sollte besonders schnell sowie industriell gefertigt werden und zugleich außerordentlich nachhaltig sein. Als Anforderungsprofil diente das Bewertungssystem „TBQ“, das die österreichische Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (ÖGNB) vertritt. Zusammen mit dem Generalunternehmer „Strobl Bau-Holzbau“ erhielt „heri&salli“ die Zusage für diese schwierige Aufgabe.

Allrounder Holz

„Uns hat besonders die kurze Bauzeit gereizt. Es war klar: Aufgrund der herausfordernden Vorgaben konnte die Wahl bei der Bauweise nur auf Holzelement- und Holzmodulbau fallen. Mit einem anderen Material war es nicht möglich, das Projekt zu realisieren“, erzählt Josef Saller. Für die unteren Geschosse hat das Projektteam konkret eine schichtverleimte Bauweise gewählt, die oberen Geschosse sind eine Pfosten- bzw. Riegelkonstruktion. Letzteres hat vor allem statische Gründe. „Pfosten-Riegel-Bauweise ist wesentlich leichter als Schichtleimverbindungen, also Vollholz. Unten haben wir uns dagegen für eine Schichtverleimung entschieden, weil es im Werk der Firma Strobl am einfachsten umsetzbar ist und konstruktiv am besten für diese Anforderungen geeignet ist“, sagt Josef Saller. Die Fassade hat das Team in Lärche ausgeführt. Sämtliches Holz im Projekt ist PEFC-zertifiziert. Ausschließlich auf österreichisches Holz konnten die Verantwortlichen nicht zurückgreifen, dennoch konnten sie den Nachhaltigkeitskriterien gerecht werden.

Große Planung, kleine Lärmbelastung

Mit der kurzen Bauzeit wollte die Stadt Wien vor allem testen, wie sich die Lärmbelastung für Anrainer:innen möglichst gering halten lässt. Der größte Erfolgsfaktor bei der Einhaltung der straffen Zeitvorgabe: der digitalisierte Bauprozess. „Die Umsetzung lief wirklich sehr einfach“, sagt Saller. Zusammen mit dem Generalunternehmen entwickelten die Planer:innen den gesamten Holzbau mit allen Details am 3D-Modell. „Dieses Modell haben wir dann auf die Fertigungsstraße übertragen und danach die einzelnen Elemente produziert.“ Eine besondere Herausforderung war hierbei der Transport mittels LKW vom steirischen Werk nach Wien. Denn in der Planungsphase mussten alle Beteiligten die maximalen Transportabstände im Straßenbereich mitdenken. Vor Ort erfolgte dann der einfachste Schritt: Das Bauteam musste die Module und Elemente nur noch zusammensetzen. Wie schon erwähnt: pro Woche ein Geschoss. Der Qualitätsbeirat der Seestadt Aspern überprüfte dabei ständig die Kriterien des Wettbewerbs. „Die wirtschaftlichen Vorgaben des Bauträgers einzuhalten und gleichzeitig auch die Kriterien des Wettbewerbes zu erfüllen, war sicherlich die größte Herausforderung im gesamten Prozess“, gibt Saller preis.

Die soziale Sockelzone

Wohnen, Arbeiten und kulturelle Vermittlung lauten die drei Funktionen des Gebäudekomplexes. Neben den freifinanzierten Mietwohnungen ist vor allem die durchlässige Sockelzone das Herzstück des Projekts. Wie es sich für ein „Forum“ gehört, ermöglicht es einen nutzungsoffenen Charakter – für die Belebung des neuen Stadtteils. Zurzeit bespielt hier die Entwicklungsgesellschaft der Seestadt den öffentlichen Raum.
Durch die facettenreiche Ästhetik im äußeren Erscheinungsbild fällt es beinahe nicht auf, dass es sich um eine serielle Fertigung handelt. Ein konstruktives Raster ist das elementare Stilmittel. „Es symbolisiert für uns die mögliche Erweiterbarkeit der Elemente“, sagt der Geschäftsführer. Denn die zukünftige Nutzung des „Forums“ ist immerhin offen. Fest steht aber jetzt schon: Das Projekt stellt die großen Potenziale der Modul- und Systembauweise mit Holz unter Beweis. Wer wissen will, wie wichtig industrielle Fertigung für die Klimawende ist, bekommt in der Seestadt Aspern die Antwort geliefert. Vorweg sei schon so viel verraten: Nachhaltigkeit und Industrie sind kein Widerspruch.