Kreislaufwirtschaft braucht Mut zur Umsetzung

Innenraum, 18.06.24
Adrian Engel
Zirkuläre Innenarchitektur gewinnt zunehmend an Bedeutung. Zwei Expert:innen aus der Branche erklären, warum Innenarchitektur mit wiederverwendetem Holz schön und wichtig ist, und wie damit spannende Projekte realisiert werden können.

Immer öfter gibt es Innenräume aus zweiter Hand. Welche Bedeutung hat das für die Nachhaltigkeitsziele im Holzbau?

Peter Kneidinger: Holz kommt als Werkstoff schon lange in der Wiederverwendung zum Einsatz. Etwa bei alten Dachstühlen und Holzstrukturen mit Zapfen und Schlitzen aus den vorangegangenen Einsätzen eines Trams. Der große Vorteil der Wiederverwendung: Sowohl im Einsatz wiederverwendeter Bauteile als auch in der Planung sind die Entwurfsprozesse mit dem Werkstoff sehr dankbar. Vom Vollholz bis hin zum schadstofffreien Holzwerkstoff können anthropogene CO2-Senken aktiviert werden.

Worauf muss man bei der Wiederverwendung von Holz in der Innenarchitektur achten?

Margit Sichrovsky: Wichtig sind vor allem die Materialauswahl, die Konstruktion und die Verbindungsmittel – um sicherzustellen, dass alles wieder gut voneinander trennbar ist. Die Reststoffverwertung ist ein weiterer Schlüsselaspekt der Nachhaltigkeitsziele. Holz zeigt sich als ressourcenschonendes Material, da man mit Restholz, Verschnittware und wiederverwendbaren Elementen planen und bauen kann.

Margit Sichrovsky ist Architektin BDA und Partnerin bei „LXSY Architekten“ in Berlin. Seit 2022 ist sie Teil des Arbeitskreises „Nachhaltiges Planen und Bauen“ der Architektenkammer Berlin.

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Inwiefern sehen Sie diese Potenziale denn schon ausgeschöpft?

MS: Leider noch sehr wenig. Aber es ändert sich langsam – vor allem beim privaten Wohnen. Im Office- und im Retail-Bereich stehen oft nicht die Materialwahl im Vordergrund, sondern vielmehr die Farben und das allgemeine Corporate Design. Dabei hat der Innenausbau ein sehr hohes Potenzial für den Einsatz von Re-Use-Bauteilen. Und es müssen erheblich weniger Regulierungen und Normen eingehalten werden. Durch Prototyping kann recht schnell der Einsatz von Re-Use-Materialien oder auch die sortenreine Rückbaufähigkeit getestet werden.

Peter Kneidinger ist CEO bei „materialnomaden“ in Wien. Ein Unternehmen mit Spezialisierung auf Re-Use und Circular Design in der Baukultur.

Wo liegen die Herausforderungen? Was braucht es für einen Wandel?

PK: Die Herausforderungen liegen sowohl in der interdisziplinären Planung und Projektabwicklung als auch in der Flexibilität der Industriebetriebe. Forschungsprojekte wie etwa „TimberLoop“ unterstützen diese Zusammenarbeit und das Definieren der Parameter für zirkuläres Bauen im Allgemeinen. In Zukunft braucht es vor allem eines: Mut zur Umsetzung.

MS: Es braucht transparente Lieferketten, die klar aufzeigen, aus welchen Quellen das Holz stammt, sowie eine effiziente Logistik für Sekundärmaterialien und das damit einhergehende System zur Lagerung, Sortierung und Verteilung wiederverwendbarer Materialien. Wichtig sind auch schnellere Prüfmechanismen für Zulassungen von Re-Use-Bauteilen oder auch Bauteile mit Re-Use-Anteilen – wie etwa die Herstellung von BSH-Elementen mit Sekundär- oder Restholzanteilen.

Welche Best-Practice-­Beispiele aus Ihrer beruflichen Praxis gibt es schon und was ist bei zirkulärer Innenarchitektur inzwischen alles möglich?

MS: Wir haben beim „Impact Hub Berlin“ im „CRCLR-House“, einem Community- und Coworking-Space in zirkulärer Bauweise, den Innenausbau realisiert. Wir setzen dort hochwertige wiederverwendete und neue nachhaltige Materialien ein – ganz so, wie sie sind. Nur beschädigte oder unebene Materialien werden vorher behandelt, um dem Designkonzept zu entsprechen. Die eingesetzten Materialien und Produkte stammen von Abrissbaustellen, Messen, Museen oder aus Lagerbeständen von Firmen – aber das Design ist klar und hochwertig. Regelmäßig haben wir dafür Berliner Tischlereien abgeklappert, um Holzverschnitt und Reststücke zu verwerten.

PK: Ich finde ReParkett® als erstes österreichisches Re-Produkt eine Besonderheit. Dabei handelt es sich um industriell aufbereiteten, wiederverwendeten Echtholz-Stabparkett. In Zukunft werden sicher vermehrt weitere zertifizierte Re-Produkte aus der heimischen Industrie aufgebaut werden. Das ist vor allem gut für die Diversifizierung der Wertschöpfungsketten im Sinne der Kreislaufwirtschaft. Meine bescheidene Utopie ist es, dass die zukunftsfähige Architektur und Bauwirtschaft durch den Einsatz von Re-Produkten und durch kreislauffähige Planung die Unabhängigkeit von unsicheren Lieferketten und eine Stärkung der lokalen Wertschöpfung ermöglicht.

 

LXSY – Architekturbüro