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„Wald der Zukunft“ zum Trinken

Fabian Wallmüller ist Architekt in Wien und Vorstandsmitglied der IG Architektur, die sich im Vorfeld der Wiener Gemeinderatswahlen für das Thema Leerstandsaktivierung einsetzt. Gemeinsam mit der Allianz für Substanz, der IG Kultur Wien, dem Architekturzentrum Wien, der Österreichischen Gesellschaft für Architektur, der TU Wien und der Kammer der Ziviltechniker:innen für Wien, Niederösterreich und Burgenland veranstaltete man im Herbst vergangenen Jahres eine dreiteilige Diskussionsreihe, die sich mit den drei Leerstandstypologien Wohnen, Gewerbe und Erdgeschosszone befasste und nach Strategien für die Erfassung und Nutzung von Leerstand in Wien suchte. Die Ergebnisse der Diskussionen sowie einer vorangegangenen Dialogveranstaltung sollen dazu beitragen, die Nutzung von Gebäudeleerstand zum Thema der Wiener Landtags- und Gemeinderatswahlen 2025 bzw. Ziel der neuen Wiener Stadtregierung zu machen.
Lieber Herr Wallmüller, warum ist es so schwer, eine verbindliche Definition für Leerstand zu finden?
Eigentlich wäre das gar nicht so schwer. Wenn man sich ansieht, wie das bereits in einigen Bundesländern gemacht wird, dann gibt es zumindest für Wohnraum eine ganz einfache Antwort: Steht eine Wohnung mehr als ein halbes Jahr leer, dann ist das ein Leerstand.
Wenn das so einfach wäre, wieso gibt es diese Definition dann nur in einigen Bundesländern und nicht in ganz Österreich?
Die Rechtslage sieht seit April 2024 vor, dass es den Bundesländern obliegt, ob und wie eine Leerstandserfassung und -abgabe durchgeführt wird. In Wien steht beides laut unserem Kenntnisstand aktuell nicht auf der Agenda. In Salzburg, Tirol, Vorarlberg und in der Steiermark hat man erkannt, dass Leerstand in manchen Gemeinden ein echtes Problem sein kann. Das betrifft beispielsweise Regionen, wo Zweitwohnsitze bis auf zwei Wochen im Jahr nicht bewohnt sind. Diese Gebäude stehen leer, während anderswo teuer neu gebaut werden muss. Wenn wir von leistbarem Wohnen sprechen, ergibt das überhaupt keinen Sinn.
In Wien steht jede zehnte Wohnung leer, das zeigen die Haupt- noch Nebenwohnsitzmeldungen laut Registerzählung der Statistik Austria. Damit könnten mutmaßlich 100.000 Wohnungen bewohnt werden, während auch
in Wien viel neu gebaut wird. Warum spielt der Leerstand
in Wien eine so untergeordnete Rolle?
Tatsächlich gab es bis 1985 in Wien eine Leerstandsabgabe, die aber vom Verfassungsgerichtshof gekippt wurde, da die Leerstandsabgabe damals in die Kompetenz des Bundes fiel. 2021 gab es noch einmal Bestrebungen für eine Abgabe, aktuell scheint sie aber kein Thema zu sein. Selbst eine für 2025 geplante Zweitwohnsitzabgabe für Nicht-Wiener:innen wurde Ende 2024 kurz vor Inkrafttreten wieder abgesagt. Warum das so ist, müssen Sie die Wiener Stadtpolitik fragen, aber auch die Verantwortlichen in der Stadt Wien. Es wäre aber auch ein lohnendes Thema für den investigativen Journalismus, sich das einmal genauer anzuschauen.
Leerstand zu erfassen sei sehr kompliziert, sagen die Gegner:innen einer Abgabe. Wie sehen Sie das?
Es heißt immer, der Schutz des Eigentums ist ein hohes Gut, und man solle nicht in privaten Verhältnissen herumschnüffeln. Dieses Argument ist ein vorgeschobenes, denn beispielsweise die Stadt Salzburg zeigt gerade, wie Leerstand datenschutzkonform erfasst werden kann: durch Verschneidung vorhandener Daten zum Energieverbrauch, Müllmengen und Abwassermengen mit Wohnsitzmeldungen oder Gewerbemeldungen. Mit Blick auf Wien meine ich, dass die Wiener Stadtverwaltung alle Mittel hätte, Daten zum Leerstand zu erheben. Wien ist extrem gut im Erfassen von Daten. Wenn man sich anschaut, welche Vielfalt an Daten in Wien erfasst wird, dann ist das phänomenal, und es ist auffällig, dass gerade der Leerstand nicht erhoben wird.
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Ihre Forderungen betreffen aber nicht nur den Wohnungsleerstand. Ist die Definition von Erdgeschossräumlichkeiten und Gewerbenutzungen schwieriger?
Nein, im Grunde nicht. Auch hier könnte gelten, dass ein Raum, der mehr als ein halbes Jahr leer steht, ein Leerstand ist. Schwieriger zu definieren ist Leerstand allerdings bei Mindernutzungen, also zum Beispiel wenn Erdgeschosslokale oder Wohnungen als Lager genutzt werden, oder Wohnungen für Airbnb-Zwecke, als Büro oder Arztpraxis, also zu gewerblichen Zwecken.
Gibt es bei Gewerbebauten und im Erdgeschoss Schätzungen zum aktuellen Leerstand?
Die Stadt Wien hat 2015 im Rahmen des Fachkonzepts Produktive Stadt 150 Hektar betriebliche Reserveflächen ermittelt – eine Fläche etwa halb so groß wie die Wiener Innenstadt. Dazu zählen Widmungsreserven, aber auch Gebäude- und Flächenleerstand. Aktuellere Zahlen liegen nicht vor, da die Ermittlung zu aufwändig ist. Allerdings wird diese Arbeit in naher Zukunft durch eine vom Fraunhofer-Institut entwickelte Kartierung von Brachflächen erleichtert, die in Kürze auch für Österreich zur Verfügung steht. Dabei wird Leerstand mittels Künstlicher Intelligenz, Satellitenbildern und Geodaten erfasst. Bei mehrgeschossigen Gebäuden sind hier dennoch Unschärfen zu erwarten, weshalb sich die Erfassung von Leerstand etwa in der Erdgeschosszone auch weiterhin auf Vor-Ort-Beobachtungen stützen wird. Gerade die Nutzung von Erdgeschosslokalen spielt aber eine wichtige, gesellschaftliche Rolle in der Stadt. Lagerräume, Storage-Anbieter, Automatenläden oder Garagen sind Mindernutzungen von Erdgeschosslokalen, die der Qualität des öffentlichen Raums schaden – und ihn mangels sozialer Kontrolle auch unsicherer machen. Dabei gäbe es durchaus Raumbedarf in der Erdgeschosszone, gerade für nichtkommerzielle Nutzungen wie soziale Treffpunkte, Kulturräume, Bildungs- und Atelierplätze oder zivilgesellschaftliche Initiativen, aber auch Start-ups oder Kleingewerbe. Alle diese Nutzungen beleben den öffentlichen Raum, ein Raumangebot zu entsprechenden Preisen fehlt aber.
Was würde es als Lösungsansatz brauchen?
Eine Kombination aus Push- und Pull-Faktoren. Also einerseits die Leerstandsabgabe, aber auch Anreize, renovierungsbedürftigen Leerstand zu sanieren, oder die Möglichkeit, Räumlichkeiten im öffentlichen Besitz unter Marktwert zu vermieten, da viele, gerade nichtkommerzielle Nutzer:innen den üblichen Marktpreis nicht bezahlen können. Eine neue Widmungskategorie „C“ für Commons könnte Erleichterungen für die Umnutzung von Bestandsbauten durch gemeinnützige, alltagsökonomische Wirtschaftsformen schaffen. Auch eine Umbauordnung könnte hier in Ergänzung zur Bauordnung baurechtliche Auflagen reduzieren. Beratungsangebote könnten Eigentümer:innen unterstützen, die mit Vermietung noch keine Erfahrungen gemacht haben. In Bezug auf Förderungen gilt es allerdings zu beachten, dass diese die Spekulation mit Leerstand nicht auch noch belohnen. Daher wäre Leerstand, der durch Förderungen mobilisiert wurde, zu vergünstigten Konditionen zu vermieten, etwa zur unbefristeten Deckungsmiete.
Eine Hauptforderung ist eine verpflichtende Leerstandsabgabe, wie soll diese aussehen?
Eine Leerstandsabgabe muss so hoch angesetzt sein, dass sie Gewinne aus der Spekulation mit Leerstand abschöpft. Dies würde in etwa auf eine monatliche Abgabe in der Höhe einer ortsüblichen Monatsmiete hinauslaufen. In Wien wären hier bei geschätzten 100.000 leerstehenden Wohnungen Einnahmen für die öffentliche Hand in der Höhe von bis zu einer Milliarde Euro pro Jahr möglich – eine ordentliche Summe. Gegen die Leerstandsabgabe wird oft argumentiert, dass diese einen zu großen Verwaltungsaufwand erzeuge, weil Leerstand schwierig nachzuweisen sei. Dieses Argument lässt sich leicht entkräften: Man könnte sich die Erfassung von Leerstand gänzlich sparen, indem eine Leerstandsabgabe grundsätzlich immer zu zahlen wäre, außer Eigentümer:innen von Immobilien können belegen, dass eine aufrechte Nutzung – etwa eine Vermietung – besteht. Die Beweislast würde also von der öffentlichen Verwaltung zu den Eigentümer:innen wandern. Nur wenn Eigentümer:innen die Nutzung einer Immobile nachweisen können, entfällt die Abgabe.
Gibt es internationale Vorbilder für gelungene Leerstandsaktivierung?
Ein erfolgreiches Beispiel ist das Haus der Statistik in Berlin. Dort wurde am Alexanderplatz ein leerstehendes Verwaltungsgebäude aus DDR-Zeiten mit einer Nutzfläche von rund 45.000 Quadratmetern durch eine zivilgesellschaftliche Initiative, darunter zahlreiche Künstler:innen, wiederbelebt. In Kooperation mit der Stadt Berlin erkannte man den öffentlichen Mehrwert des Projekts – als Raumressource für Kunst, Kultur und Soziales, aber auch für die Berliner Stadtverwaltung. Die Stadt beteiligte sich finanziell und entwickelte das Projekt gemeinsam mit der Initiative und einer Wohnbaugesellschaft weiter. Auch in Wien wären derartige Projekte möglich – man denke nur an die heute leerstehende alte WU mit rund 120.000 Quadratmetern Nutzfläche. Die alte WU soll laut aktuellen Plänen abgerissen werden, um dort einen neuen Unicampus zu errichten. Würde der Gebäudebestand hingegen durch ein intelligentes Nutzungskonzept aktiviert, wäre das ein europaweites Vorzeigeprojekt.