Museumsbau mit Hindernissen in Odense
Winter 2020: Plötzlich wurde das Märchen zur Realität. Der Bauprozess des neuen Hans-Christian–Andersen–Museums im dänischen Odense läuft wie am Schnürchen, doch dann hebt eine Pandemie die Welt aus den Angeln. „Es fühlte sich für mich an, als würden wir Andersens Märchenwelt erleben, etwa lernen müssen, uns anzupassen, mit dem Unbekannten fertig zu werden. Seine Geschichten sprechen noch heute zu uns“, sagt Yuki Ikeguchi, verantwortliche Partnerin des ausführenden Architekturbüros „Kengo Kuma and Associates“.
GLOBALISIERUNG STEHT STILL
Angesichts der Pandemie steht das Projektteam dieses Bauprojekts vor einer großen Herausforderung. Die wichtigsten Akteur:innen waren quer über den Globus verstreut und physisch voneinander getrennt. Auftraggeber: die Stadt Odense, Architekturbüro: Kengo Kuma in Japan, Holzkonstruktion: Wiehag in Österreich. Insbesondere internationale Großprojekte wie das Andersen–Museum waren gezwungen, jegliche Routinen über den Haufen zu werfen und neue Arbeitsprozesse zu entwickeln. „Die Durchführung der Arbeit, Sequenzierung, Planung, Beschaffung und so weiter – wir mussten alles neu denken“, sagt Yuki Ikeguchi. Trotzdem wurde das Museum dann Anfang 2022, nach fast sechs Jahren Bauzeit, eröffnet.
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HOLZ ALS STORYTELLER
Natürlich entschied sich der japanischen Stararchitekt Kengo Kuma bei der Verwirklichung des Museums für den Baustoff Holz. Kuma, der auch das Olympiastadion in Tokyo entwarf,
strebt in seiner Arbeit danach, Beton durch alternative Materialien zu ersetzen. Beim Projekt in Odense einigten sich alle Beteiligten schnell – in einem Museum eines Märchenautors muss Holz eine große Rolle spielen. So nimmt die Märchenlandschaft am besten Gestalt an. Das Kulturzentrum in der Geburtsstadt von Andersen liegt zwischen einem Wohngebiet mit kleinen traditionellen Holzhäusern aus dem Mittelalter und einem neu entwickelten Stadtgebiet. Seit 2012 arbeitet Odense an der Umwandlung des Zentrums, eine Hauptverkehrsstraße wird schrittweise geschlossen und die bisher zweigeteilte Innenstadt vereint. Mit seinem großen Märchengarten spielt das AndersenMuseum bei dieser Wiederbelebung eine Hauptrolle.
FORMEN OHNE HIERARCHIE
Die fünf Holzpavillons auf rundem Grundriss sind eine Hommage an die historischen Fachwerkhäuser im Viertel. Sie gelten als eine der ältesten vorgefertigten Bauwerke in der Menschheitsgeschichte und haben in Nordeuropa eine lange Tradition. Doch Kengo Kuma und sein
Team brechen auch den Stil. Mit ästhetischen Überraschungen übersetzen sie die klassische Formensprache in nicht lineare Architektur. Die Fassaden aus Holz und Glas etablieren etwa eine Balance zwischen Tradition und Moderne, ebenso die in Kreisformen ausgestalteten Museumsräume ohne Zentrum und ohne Rangordnung. Als Inspiration für das Design diente dabei Andersens Märchen „Das Feuerzeug“, in dem sich unter einem Baum eine unterirdische Welt zeigt. So befinden sich zwei Drittel des 5.600 m² großen Museums unter der Erde. Dadurch konnte die Fläche für den großen Garten bestehen bleiben, der einen entscheidenden Designbaustein für die Erlebniswelt darstellt. Die ästhetische Kraft der Bauwerke zeigt sich etwa im Pavillon mit dem Namen „Ville Vau“. Im Design setzen Yuki Ikeguchi und die anderen Verantwortlichen hier auf Träger aus Fichte. Die radiale Anordnung der Träger sorgt dabei für eine intensive Haptik.
PLANUNG VON INNEN NACH AUSSEN
Wie in den Projekten von Kengo Kuma üblich, stehen die organisch geschwungenen HolzGlasPavillons nach einer Zeit der reduzierten Formen für eine Rückkehr zu warmer und haptischer Architektur. „Holz ist der älteste Freund des Menschen“, sagt Kengo Kuma. Neben der Pandemie mussten die japanischen Architekt:innen bei der Gestaltung eine zweite besondere Herausforderung meistern: Das Museum sollte unbedingt neben dem Geburtshaus Andersens entstehen und der Raum war somit fi x vorgegeben. Der Entwurf musste in die Geografi e passen und nicht umgekehrt. „In den meisten Fällen werden Museen dort entworfen, wo die Ausstellung hinpasst. Es war ziemlich interessant und herausfordernd, das Museum von innen nach außen zu entwerfen, wo die Entwurfsreihenfolge normalerweise umgekehrt ist“, sagt Yuki Ikeguchi. Der zentrale Begriff hinter dem Entwurfskonzept ist dabei die „Dualität“. „Sie ist für uns die Essenz der Geschichten des Autors und seines Lebens. Die gleichzeitige Koexistenz von Gegensätzen, Rücken an Rücken“, erklärt Ikeguchi. Musterbeispiel hierfür ist „Das hässliche Entlein“. Um ein mehrdeutiges Gefühl zu erzeugen, setzen Ikeguchi und Team daher in der Raumstruktur aufKreisformen. Die Komposition stellt die Natur der Dualität dar: mäandernd, dezentral, widersprüchlich. Doch zugleich berühren die Museumsräume einander wie in einer Kette. „In der Abfolge der ineinander verschlungenen Räume fi nden sich Besucher:innen zwischen Außen und Innen wieder, wenn die grüne Wand des Gartens erscheint und verschwindet“, sagt Yuki Ikeguchi. So beweist das HansChristianAndersenMuseum im dänischen Odense: Bei aller Gegensätzlichkeit ziehen die Dinge einander auch an. Und manchmal gehen Geschichten gut aus. Nicht nur im Märchen.