Sollen wir mit Holz in die Tiefe gehen?
Einatmen. Ausatmen. Auf dem Holzboden kommt die Yogagruppe besonders gut zur Ruhe. „Viele Übungen machen wir direkt auf dem Boden, nur manchmal nehmen wir eine Matte als Unterlage“, sagt die Yogalehrerin Doris Baumgartner. Einmal wöchentlich treffen Bewohner:innen eines Mehrfamilienhauses im Schweizer Thun einander in einem Mehrzweckraum aus Holz für die kontemplative Übung. Das Besondere: der Raum ist im Keller.
Der Holzkeller als Lebensraum
Was lange undenkbar schien, ist heute Realität: Untergeschosse aus Holz sind möglich. Wie im Mehrfamilienhaus von Regula Bircher und Stefan Zöllig mit fünf Wohnungen. Dabei handelt es sich um das erste Holz-Untergeschoss in der Schweiz. Auf rund 200 m2 finden hier eine Gemeinschaftsküche, Büro- und Werkstatträume sowie ein Schlafzimmer für Gäste, eine Waschküche, Installationen und Kellerabteile Platz. Verwirklicht hat den Bau das von Stefan Zöllig gegründete Unternehmen Timbatec. Die Botschaft hinter dem Benchmark-Projekt: Mit dem Material Holz wird der Keller zum Lebensraum.
Charmantes Souterrain
„Wenn die Baubranche ihren CO2-Ausstoß ernsthaft reduzieren will, freiwillig oder gezwungenermaßen, dann könnten sich Untergeschosse in Holzbauweise etablieren. Sie sind eine gute Möglichkeit, große Mengen an Stahl und Beton zu substituieren“, sagt Stefan Zöllig. Hinter dem Timbatec-Bau in Thun steckt ein firmeneigenes System. Die im Werk vorbereiteten Brettsperrholzplatten werden dabei auf der Baustelle zu großen Flächen verklebt und abgedichtet. „Der wichtigste Grundsatz im Holzschutz ist der Feuchtschutz: Trocken hält Holz für immer. Ein räumliches Monocoque aus Holz mit Konstruktionsdetails wie bei Flachdächern ist die Lösung“, erklärt Zöllig die Technologie.
Robust bei Wurzeln
Das Bauteam legt dazu auf einer Split-Schicht und 160 mm dicken Dämmplatten die Brettsperrholzplatten auf. Eine Schwarzdämmung ummantelt das Holz für den Feuchtschutz. Das Feuchtemonitoring prüft jederzeit die Dichtheit und gewährt die Langlebigkeit des Untergeschosses. Für die Abdichtung sorgt eine EPDM-Folie wie bei Flachdächern – ergänzt durch Vlies-Schichten. Der Vorteil: Unter dem Boden sind die Einwirkungen schwächer als auf dem Dach. Hier gibt es keine Pfahlwurzeln, Vögel oder Wetterphänomene. „Der Bodenaufbau muss dagegen den Wurzeln und dem Staudruck des Wassers standhalten“, sagt Stefan Zöllig.
Das sogenannte „Monocoque“ besteht aus einzelnen CLT-Platten, verbunden durch „TS3“-Fugen. Dieses Verfahren aus dem Hause Timbatec schafft große Flächen aus Holz. „Dazu behandeln Brettsperrholz-Hersteller die Stirnseiten der Platten im Herstellungswerk mit einem Primer sowie Dichtungsbändern. Auf der Baustelle werden die Platten dann mit einem Zweikomponenten-Polyurethan Gießharz ohne Pressdruck vergossen“, erklärt Zöllig. Die Decke darüber bildet dabei Fundament und Lastenverteilung für den überirdischen Holzbau. Das gesamte Untergeschoss in Thun besteht aus dieser Konstruktion.
Der Überbau profitiert
Im Bauprozess bietet das Untergeschoss einen wesentlichen Vorteil: Durch den Holzunterbau kann der Überbau schneller entstehen. „Für die Montage der Holzbauteile moderner Holzhäuser montieren Zimmerleute auf der Baustelle Spurschwellen. Das Einmessen, Ausnivellieren und Montieren dieser Spurschwellen auf dem betonierten Untergeschoss ist zeitintensiv. Auf der planen Untergeschossdecke aus Holz lassen sich die Spurschwellen viel einfacher montieren“, sagt Zöllig.
Für den Timbatec-Gründer sind Holzuntergeschosse noch ein Nischenmarkt. Das Projekt in Thun ist Vorbild für private Bauherrschaften, die besonders umweltfreundlich bauen möchten. Denn die Fakten sprechen eine deutliche Sprache: 1 m3 armierter Beton verursacht rund 500 kg CO2-Ausstoß, 1 m3 Holz speichert dagegen 1 t CO2. Insofern gehört Holz-Untergeschossen wohl die Zukunft. Für die Yogagruppe in Thun hat die Holzatmosphäre jedenfalls einen ähnlichen Effekt wie die Übungen: Sie ist gut für Körper und Geist.