Theater & Tierschule unter einem Holzdach

Architektur, 24.06.25
Adrian Engel
Wie bringt man ein Nationaltheater und eine Rentierzuchtschule unter ein Dach? Das norwegische Architekturbüro Snøhetta hat mit Čoarvemátta eine ebenso poetische wie pragmatische Antwort gefunden – gebaut mit viel Holz, Weitblick und einem ehrlichen Verständnis für die samische Kultur.

Ein Theater, ein Gymnasium und eine Schule für Rentierhaltung in einem Gebäude – das klingt erst mal nach einem unmöglichen Balanceakt. Doch im norwegischen Kautokeino ist es Realität. Čoarvemátta, entworfen von Snøhetta in Zusammenarbeit mit 70°N arkitektur und dem Künstler Joar Nango, ist seit 2024 ein neues kulturelles Zentrum für die samische Bevölkerung. Die Idee dahinter: Bildung, Kunst und Handwerk vereinen – verwurzelt in der Landschaft, verankert in der Tradition. Mit klarem Fokus auf den Baustoff Holz ist die Mission gelungen.

„Der Entwurf ist inspiriert von der inneren Verbindung eines Rentiergeweihs – stark, verzweigt, tragend“, sagt Projektleiter Bård Vaag Stangnes. Die Ästhetik folgt dieser Metapher: Drei Flügel strecken sich wie Äste von einem zentralen Treffpunkt aus, der durch ein großes Vestibül mit sichtbarer Holztragstruktur geprägt ist. Es ist angelehnt an das Rauchloch im Lávvu, dem traditionellen samischen Zelt. Licht fällt von oben ein, trifft auf Holz, Stein und warme Farbtöne – ein Ort der Begegnung, von innen heraus lebendig.

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Holz aus Haltung

Um der Sami-Tradition gerecht zu werden, spielt das natürliche Baumaterial Holz eine zentrale Rolle im Čoarvemátta. Die Fassade besteht aus einer Holzverkleidung aus Erzkiefer. Das fast 5.000 Qua-dratmeter große Dach ist mit 34.000 laufenden Metern Kebony belegt – nach einem norwegischen Verfahren modifizierte Nadelhölzer. Am Theatergiebel findet Alta-Schiefer aus der ehemaligen Volksschule des Orts eine Wiederverwendung – ein lokales Zeichen für Kreislaufdenken.

Das Tragwerk im zentralen Bereich besteht aus Brettschichtholz – 70 Prozent davon stammen aus Lettland, der Rest aus Estland und Schweden. In stark beanspruchten Bereichen wie der Sporthalle, dem Bühnenbereich und dem Probenraum kommen Betonelemente und ergänzende Stahlprofile zum Einsatz. So ergibt sich ein durchdachter Materialmix aus Massiv- und Holzbau, abgestimmt auf die jeweiligen Anforderungen.

Auch im Inneren dominiert Holz in vielen Facetten: So setzt das Projektteam etwa bei den Wänden auf Holzlatten und geölte und glattkantige Holzpaneele, während alle Einbauten aus Kiefern- und Eschenfurnier geschnitzt sind. Die Farbgebung folgt einem samischen Prinzip: warmes Rot in der Mitte, kühle Blautöne an den Enden – wie eine innere Klimazone des Gebäudes. „Je weiter man sich von der Feuerstelle entfernt, desto kälter werden die Farben, mit bläulichen Tönen an jedem Ende der Gebäudeflügel“, sagt Bård Vaag Stangnes.

Kulturlandschaft und Kreislaufgedanke

Genauso konsequent spiegelt sich draußen das architektonische Konzept wider: Ein runder Vorplatz mit Feuerstelle (arrán), Sitzsteine und ein Amphitheater laden zur Nutzung durch Schule und Theater ein. Die Umgebung wurde behutsam zurückgebaut und rekultiviert – samt temporär ausgelagertem Oberboden, der nun wieder als Nährgrund dient.

Aus technischer Perspektive ist Čoarvemátta ein Vorzeigebeispiel für energieeffizientes Bauen: 40 Erdbohrungen liefern bis zu 90 Prozent der benötigten Heiz- und Kühlenergie – durch Geothermie und Wärmepumpen. Der Bau erfüllt den norwegischen Passivhausstandard und reduziert den CO2-Fußabdruck im Vergleich zu Referenzprojekten um mindestens 30 Prozent – durch kluge Materialwahl, eine fossilfreie Baustelle und energieeffiziente Lösungen.

Für Architekt Bård Vaag Stangnes war das Projekt mehr als ein Bauvorhaben: „Wir wollten ein Gebäude schaffen, das so nah an der Natur ist wie nur möglich.“ So viel Urteil sei erlaubt: Das ist gelungen.

Daten & Fakten

  • Bauherr:in: Statsbygg, staatliche norwegische Baubehörde
  • Architektur: Snøhetta in Zusammenarbeit mit 70°N arkitektur und dem Künstler Joar Nango
  • Planungsbeginn: 2020
  • Fertigstellung: 2024
  • Baukosten: ca. ca 250 Millionen NOK
  • Nettogeschossfläche: 7.200 m2
  • Haustechnikkonzept: Passivhaus
  • Energiekonzept: 90 % energieautark bei Heizung und Kühlung; 40 geothermische Brunnen, jeder ca. 250 m tief; zwei Wärmepumpen versorgen das Gebäude; Wärmetauscher führen überschüssige Wärme in das System zurück; Elektro­kessel wird nur an den kältesten Wintertagen verwendet
  • Statisches Konzept: Hybridsystem Brettschichtholz/ Beton Fertigteilbau (Prefab)
  • Materialkonzept Außen: Kiefer und Schiefer;
    Innen: Kiefer/Sperrholz/lackierte Oberflächen
  • Nachhaltigkeit Treibhausgasemissionen im Vergleich zu einem Referenzgebäude über den gesamten Lebenszyklus um min. 30 % reduziert, und zwar in Bezug auf Energie, Materialien und Bauweise.