Unterstützende Architektur

Branche, 17.06.25
Helena Zottmann
Demenzsensible Architektur erfährt mit der steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung zunehmendes Interesse. Dabei spielen unendliche Wege und das Material Holz eine zentrale Rolle.

Jeder zweite Mensch könnte im Laufe seines Lebens von Demenz betroffen sein – entweder direkt oder indirekt über Angehörige. Bei der Demenz verändert sich das Gedächtnis, Betroffene können alltägliche Handlungen nicht mehr wie zuvor verrichten. Eine Heilung steht nach der Diagnose nicht im Zentrum, sondern das Wohlbefinden der Erkrankten zu erhöhen und deren Begleitung zu vereinfachen.

ARCHITEKTUR ALS AUSGLEICH

Im Sinne der heilenden Architektur berücksichtigt die demenzsensible Architektur das intensive Wahrnehmen und Fühlen der Erkrankten. Eine einfache Wegeführung, freie Blickachsen und eine wiedererkennbare Raumstruktur schaffen Klarheit und Orientierung. Im besten Fall wirkt die Architektur sogar entstigmatisierend: Wenn die Handlungsfähigkeit der Menschen durch die Planung angehoben wird, können sich die Menschen selbstbestimmt und kompetent fühlen. Holz ist als ein in vielen Einsatzbereichen bekanntes Material gut für an Demenz erkrankte Menschen geeignet. „Holz unterstützt das Empfinden von Behaglichkeit. Es weckt Erinnerungen und fühlt sich angenehm warm an“, erklärt Birgit Dietz, Architektin und Leiterin des Instituts für alters- und demenzsensible Architektur in Bamberg. Insbesondere auf die Akustik kann Holz verbessernd wirken, denn: „Ruhige Umgebungen wirken Reizüberflutung entgegen. Räume, in denen es laut und hallig ist, wirken dagegen beunruhigend, Stress fördernd. Wenn Geräusche nicht zugeordnet werden können, und die Sprachverständlichkeit reduziert ist, es nicht möglich ist, einem Gespräch zu folgen, ziehen die Menschen sich zurück“, erklärt Birgit Dietz. Dies wiederum leiste einer Demenzerkrankung Vorschub. Bauliche Maßnahmen, wie Akustikdecken aus Holz oder Holzwerkstoff, haben sich in diesem Zusammenhang bereits bewährt.

SELBSTÄNDIGKEIT FÖRDERN

„In dem Maß, in dem die Fähigkeiten eines Menschen abnehmen, muss die Architektur versuchen, dies so weit wie möglich auszugleichen“, erklärt Birgit Dietz. Auch die dänischen NORD architects setzen in ihrer Arbeit einen Schwerpunkt auf Healthy Ageing: „Wir bewegen uns auf eine Zukunft mit viel mehr älteren Menschen und Demenzerkrankten zu“, erkannten die Architekt:innen. Ihrer Ansicht nach seien altersintegrierte Quartiere eine Möglichkeit, der kommenden demografischen Krise zu begegnen. Die dänischen Architekt:innen realisierten 2020 das Alzheimerdorf in Dax (Frankreich) sowie das „Marlin and Doris Thomas Memory Center“ in Lancaster, Pennsylvania (USA), welches 2025 fertiggestellt werden soll. Sie setzen auf naturnahe Gestaltung, offene Gemeinschaftsräume und Holz als zentrales Material. Das Alzheimerdorf in Dax besteht aus vier Nachbarschaften mit individuell gestalteten Häusern und einer zentralen Stadtstraße, die mit Sinneseindrücken angereichert ist. Beim Memory Care Center in Pennsylvania findet sich an der Holzstruktur der Gebäude ein Lehmputz in sanftem Rot, was ein heimeliges Gefühl vermitteln sollen.

THERAPIE IM GARTEN

Außenräume sind für Demenzkranke essenziell. Gärten ermöglichen freie Bewegung und wecken durch jahreszeitliche Blüh- und Farbaspekte Erinnerungen. Das Gärtnern ist für viele Menschen eine vertraute Handlung, die Geborgenheit gibt. Elemente wie Hochbeete, Pergolen schaffen Aufenthaltsbereiche, die sowohl für Betroffene als auch Angehörige angenehm sind. Anna Detzlhofer, Landschaftsplanerin und Gründerin von DnD Landschaftsplanung plante den Therapiegarten für die 2020 eröffnete Senior:innenresidenz am Lainzer Tiergarten in Wien. „Die Wege müssen so gestaltet sein, dass sich die Menschen zurechtfinden, obwohl der Orientierungssinn verloren ging“, erklärt Detzlhofer. In der Gestaltung für Demenzerkrankte sei es zudem zentral, mit ungiftigen Pflanzen zu planen, für ausreichend Schatten zu sorgen sowie glatte, rutschfeste Beläge zu wählen. Demenzsensible Gestaltung, sei es in Gebäuden oder Außenanlagen, dient nicht nur der Funktionalität, sondern steigert auch die Lebensqualität und das Wohlbefinden. Sie ermöglicht Betroffenen ein möglichst selbstständiges Leben und rückt die Einschränkungen in den Hintergrund.