Erweiterung der Mehrzweckhalle vom Architekturbüro Kaiser Shen

Architektur, 07.05.25
Adrian Engel
Abriss oder Sanierung? Im deutschen Ingerkingen fiel die Entscheidung zugunsten des Weiterbauens – und das mit maximalem Erhalt der bestehen­den Substanz. Die örtliche Mehrzweckhalle wurde durch einen innovativen Holzbau erweitert und ist heute wieder das lebendige Zentrum des Dorfes.

Einen Tag lang in die Luft schauen. Das ist für Architekt:innen manchmal der größte Lohn. Als beim Bau der Mehrzweckhalle Ingerkingen die großen Hallenrahmen aus Brettschichtholz mit dem Kran eingehoben wurden, war es für Kilian Juraschitz ein besonderer Augenblick: „Zum ersten Mal wird der neue Hallenraum erlebbar. Aus dem gezeichneten Plan wird konkreter Raum – das sind Momente der Belohnung“, sagt der Projektleiter des Architekturbüros Kaiser Shen.

Dieser Moment symbolisierte auch die Transformation der Mehrzweckhalle Ingerkingen – von einem über Jahrzehnte gewachsenen Bau hin zu einem modernen, nachhaltigen Holzbau, der Vergangenheit und Zukunft verbindet. Das Projekt demonstriert, wie Holz den Bestand aufmotzen kann.

»Ein Großteil der Lasten wird in die neuen Fundamente im Süden eingeleitet, sodass nur 40 Prozent der Vertikallasten auf den Bestand wirken.«, Kilian Juraschitz

Sanierung statt Abriss: Einpragmatischer Umgang mit dem Bestand

Die 1964 erbaute Halle wurde über die Jahre mehrfach erweitert und umgebaut, wodurch sie an Klarheit und typologischer Qualität verlor. Im Wettbewerb stand die Frage im Raum: Abriss oder Weiterbauen? Atelier Kaiser Shen überzeugte mit einem Konzept, das 60 Prozent der bestehenden Baumasse erhielt – darunter Fundamente, Decken und massive Wände.

Die Architekt:innen ließen sich dabei vom Bild einer chinesischen Porzellanschüssel inspirieren, die jemand nach dem Zerbrechen kunstvoll repariert. Genauso unverwechselbar sollte der Bau werden. Ebenso sollte der Bestand nicht versteckt, sondern durch den Holzbau sichtbar ergänzt werden.

Herzstück des Umbaus ist ein einhüftiger Zweigelenkrahmen aus Brettschicht-holz. „Ein Großteil der Lasten wird in die neuen Fundamente im Süden eingeleitet, sodass nur 40 Prozent der Vertikallasten auf den Bestand wirken“, sagt Juraschitz.

Die Hallenrahmen rhythmisieren mit ihrer geschwungenen Form den Raum. In Kombination mit den vollständig mit Birke–Sperrholz verkleideten Wänden entsteht eine einladende Atmosphäre. Die Außenhülle verbindet dabei Alt und Neu: Der verputzte Bestand bleibt ablesbar, während das Projektteam die neue Aufstockung mit einer hinterlüfteten Holzfassade aus unbehandelter Fichte ausführt.

Ein Haus für die Gemeinschaft

Die Halle dient von nun an dem Schulsport, ist aber auch das soziale Zentrum des Dorfes. Während der Bauzeit wurde deutlich, wie sehr sie fehlte. „Die Mehrzweckhalle begleitet das Dorfgeschehen seit 60 Jahren – es war immens wichtig, dass sie weiterlebt“, sagt Juraschitz.

Die Eröffnung im Juli 2024 war ein großes Fest – von Blasmusik bis Thea-teraufführungen wurde die neue Halle ab dem ersten Tag sofort von der Bevölkerung wieder genutzt. Da war sie noch gar nicht fertig, es fehlten noch Teile
der Bühne.

Zirkuläres Bauen in der Praxis

Aber auch mit den vielen nachhaltigen Details setzt das Projekt Maßstäbe: Die alte Holzverkleidung des Hallenraums hat das Team als Fassade für eine nahegelegene Waldhütte wiederverwendet, Sanitäranlagen verkauft. Atelier Kaiser Shen achtete zudem darauf, dass ein Großteil der neuen Materialien trennbar und sortenrein rückbaubar bleiben – ein Beispiel für nachhaltige Kreislaufwirtschaft. Die Mehrzweckhalle Ingerkingen zeigt damit, dass Weiterbauen oft die bessere Lösung ist als ein Neubau – wirtschaftlich, ökologisch und emotional. „Es freut mich natürlich am allermeisten, dass die Ingerkinger die Halle so gut annehmen“, sagt Juraschitz.

Mit ihrer gelungenen Kombination aus Alt und Neu setzt die Halle schlichtweg ein Zeichen für nachhaltige Baukultur – ein Vorbild für viele andere Gemeinden.

Daten & Fakten

  • Bauherr:in: Gemeinde Schemmerhofen
  • Architektur: Atelier Kaiser Shen
  • Statik: str.ucture
  • Planungsbeginn: März 2020
  • Fertigstellung: Juli 2024
  • Nettogrundfläche: 1.338 m2
  • Haustechnikkonzept: Minimaler Technikeinsatz, einfache Wartung. Lüftung auf das Nötigste reduziert, größtenteils sichtbar installiert.
  • Statisches Konzept: Einhüftiger Zweigelenkrahmen aus Brettschichtholz, ausgerichtet auf das Achsraster der Stahlbetonstützen. Rund 60 % der Vertikallasten und alle Horizontal­lasten gehen in die neuen Südfundamente.
  • Materialkonzept: Bestand gedämmt und verputzt; Auf­stockung in Holzrahmenbauweise mit hinterlüfteter Holzfassade, die natürlich vergraut.
  • Wärmeschutz: Effektiver Hitzeschutz durch auskragende Dächer.
  • Innenwände (Neubau): Nichttragende Holzbauweise
  • Außenwänd (Neubau): Holzrahmenbauweise
  • Qualitäten der wirtschaft­lichen Nachhaltigkeit: Ehemalige Holzbekleidung als Fassade einer Waldhütte wiederverwendet; Baustoffe sortenrein trennbar und recycelbar; Nutzung lokaler Holzlieferanten, Zimmereien und Schreinereien