Historisch, heimisch, Holz-Hybrid

Architektur, 12.01.24
Marlies Forenbacher
Ein Schulgebäude aus den 1970er-Jahren im nieder­österreichischen Retz wurde von Maul Architekten durch einen Neubau in Holz-Hybrid-Bauweise erweitert und gibt nun Raum für drei Tourismus-Fachschulen. Als Hofgebäude konzipiert vermittelt es zwischen Innen und Außen und stellt die Praxis ins Zentrum.

In Retz, im nördlichen Niederösterreich nahe der tschechischen Grenze, wurde 2018 ein EU-weit offener, einstufiger Realisierungswettbewerb zur Generalsanierung und Erweiterung der Tourismusschulen ausgeschrieben, den Maul Architekten aus Wien bzw. Attersee für sich entscheiden konnten. Ziel war es, ein Schulgebäude zu schaffen, das einer neuen, zeitgemäßen Tourismusausbildung entspricht. „Die unterschiedlichen Schwerpunkte in der Ausbildung von Praxis- bis Theoriestunden waren essenzieller Bestandteil der Entwurfsaufgabe und formulierten für uns von Anbeginn ein heterogenes Aufgabengebiet“, erklärt Architektin Catharina Maul die Anforderungen des Bildungsministeriums, das durch die Bildungsdirektion NÖ vertreten war.

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Der Bestandsbaukörper aus den 1970er-Jahren sollte im äußeren Erscheinungsbild bewahrt und durch gezielte Zu- und Erweiterungsbauten den heutigen Anforderungen mitsamt einer räumlich spannenden Abwicklung ergänzt werden. Der Neubau, der die ehemalige HAK im Nordosten erweitert, bildet als selbstbewusster Holzbau einen sichtbaren Kontrast. Damit bleiben die Entstehungszeiten der Gebäude für die Besucher:innen ablesbar. „Eine besondere Rolle nimmt dabei die Ausformulierung des Daches ein, das die sehr prägnante Dachlandschaft von Retz widerspiegelt und neu interpretiert.“

„Die Zielsetzung eines neuen, zeitgemäßen, auf die Bedürfnisse der aktuellen Tourismusausbildung abgestimmten Schulgebäudes war von Anfang an klar formuliert. Die unterschiedlichen Schwerpunkte in der Ausbildung ­waren essenzieller Bestandteil der Entwurfsaufgabe und formulierten für uns von Anbeginn ein heterogenes Aufgabengebiet.“ – Catharina Maul, Maul Architekten

Split-Level schafft Verbindung

Der Hauptzugang befindet sich im Erdgeschoss des Neubaus, der eine barrierefreie Erschließung ermöglicht. „Die bestehenden Räumlichkeiten und deren Niveaus werden durch die Gangerweiterung und ein zwischengeschaltetes Split-Level-Stiegenhaus mit dem Neubau verbunden“, erzählt Catharina Maul.

Während der Bestand mit seinen geringeren Raumhöhen der Verwaltung dient und zahlreiche Nebenräume wie die Bibliothek oder EDV-Räume beherbergt, umfasst der Neubau die allgemeinen Unterrichtsräumlichkeiten. Das neu geschaffene offene Stiegenhaus dient dabei als Bindeglied der einzelnen halbgeschossig versetzten Ebenen von Bestand und Neubau mit Blick in die zentrale Halle.

Einst als HAK konzipiert, beheimatet das Gebäude heute an dem Standort drei Fachschulen, die gemeinsam die „Höhere Lehranstalt für Tourismus“ bilden. Dementsprechend befinden sich im Erdgeschoss neben dem Hauptzugang die Lehrbar sowie die Rezeption, die sich beide durch eine Terrasse zum Schulvorplatz hin erweitern.

Herzstück der Schule ist das Schulrestaurant, das von den Tourismus-Schüler:innen selbst betrieben wird und die Praxisausbildung als klaren Bestandteil des Gebäudes integriert. Da der Neubau als Hofgebäude entwickelt wurde, verbindet der Speisesaal den abgetrennten Küchenbereich mit dem privaten Innenhof und Garten. Ein umlaufender Rundgang inszeniert den Blick ins Grüne und verbindet Innen- und Außenraum. Im Obergeschoss befinden sich die elf Klassenräume mit unterschiedlichen Raumgrößen. Die Dachneigungen und der konstruktive Holzbau bleiben im Inneren stets erlebbar.

Preissteigerung und Unsicherheiten zum Trotz

Neben der sauberen Lösung zur Verbindung von Bestandsobjekt und Erweiterung war den Architekt:innen vor allem die Sichtbarmachung der verwendeten Materialien wichtig. Als Holz-Hybrid-Bau konzipiert, ruht auf der massiven Bodenplatte ein zweigeschossiger Holzbaukörper, der mittels BSH-Scheiben, Holzriegelwänden und Holzrippen ausgeführt wurde. Holz-Beton-Verbunddecken kamen bei großen Achsabständen zum Einsatz. „Zahlreiche konstruktive Elemente blieben aufgrund einer offenen, abgehängten Akustikdecke oder einer Überdimensionierung – und somit dem Entfall zusätzlicher brandschutztechnischer Maßnahmen – sichtbar und für die Nutzer:innen erlebbar“, erklärt die Architektin.

In Form von liegender und stehender Weißtannenschalung aus Holz aus heimischen Betrieben zieht sich das Architekturkonzept auch an der Fassadengestaltung fort. Da die Pandemie mitten in die Planungsphase fiel, waren Unsicherheiten in Bezug auf Preise und Zeitpläne unvermeidbar. Dennoch wurde die Ausführung als Holz-Hybrid-Bau von Bauherrnseite trotz Preissteigerung mitgetragen und als positiv beurteilt. „Ein hybrides Lüftungskonzept in den Klassenräumen erweiterte das Holzgebäude auf technischer Ebene. Hier kommt eine gesteuerte Fensterspaltlüftung mit CO2-Messung zum Einsatz.“ Sie dient einerseits der nächtlichen Abkühlung, andererseits dem zielgerichteten, gesunden Luftaustausch.

Von Beginn an war das Lüftungskonzept Teil des Projekts – nach der Pandemie wurde es in zahlreichen Schulen aufgrund seiner Effizienz nachgerüstet. Der bereits vorhandene Fernwärmeanschluss des Bestands wurde für den Neubau erweitert und stellt die ökonomischste Art der Beheizung dar.

Ausgezeichnet

Wer inmitten der Pandemie plant und baut, ist Herausforderungen gewachsen. Das kann auch Catharina Maul bestätigen: „Herausforderungen dieser Art stellen unseren spannenden Berufsalltag dar und können in meinen Augen schwer auf einzelne Punkte reduziert werden. Der Planungsprozess über fünf Jahre birgt so manch Lustiges, Spannendes und Herausforderndes.“

Nicht nur dieses Projekt meisterte die Architektin augezeichnet. Mit gutem Grund wurde sie von anotHERVIEWture zur Nachwuchsarchitektin des Jahres 2022 gewählt. „Das schönste Feedback erhält man als Architektin, wenn die gedachten räumlichen Entwürfe und finalen Gebäude ihrer Nutzung entsprechen und somit dem Wohlbefinden der Nutzer:innen als Aufenthaltsort dienen.“ Dass dies hier gelungen ist, zeigt der wertschätzende Umgang der Schüler:innen und Lehrer:innen mit dem neuen Gebäude. Auch die Zusammenarbeit mit dem Generalunternehmer Swietelsky und in weiterer Folge mit Weissenseer-Holz-System-Bau aus Kärnten verlief konstruktiv und lösungsorientiert.

Wenn die Zusammenarbeit von Planenden und Ausführenden reibungslos funktioniert, dann lässt sich das Ergebnis meist auch sehen. Selbstbewusst ruht der Holzbau neben dem Bestand und demonstriert, wie jeder Bauteil seine Geschichte selbst erzählen kann. Nicht nur in seiner Formensprache in der Umgebung verortet, ergänzt der Schulweingarten im Süden das Ensemble. Bewirtschaftet von der Weinbauschule gibt er seinem Standort im Weinviertel symbolisch Bedeutung.

Daten zum Projekt

  • Bauherr:in: BMWFW, vertreten durch die ­Bildungsdirektion NÖ
  • Architektur: maul-architekten zt gmbh
  • Holzbau / Baufirma: Swietelsky AG und WEISSENSEER HOLZ-SYSTEM-BAU GMBH
  • Statik: RWT Plus ZT GmbH
  • Haustechnik: Bauklimatik GmbH
  • Bauphysik: Bauklimatik GmbH
  • Planungsbeginn: EU-weit offener einstufiger Realisierungswettbewerb Juni 2018
  • Baubeginn: März 2021
  • Fertigstellung: Juni 2022
  • Nettogeschossfläche: Ca. 3.740 m²
  • Haustechnikkonzept: Hybride Fensterlüftung; Fernwärmeanschluss
  • Elektrokonzept: Bestandsanschluss
  • Energiekennzahl: Bestand: 27,76 kWh/m²a; Neubau: 38,99 kWh/m²a
  • Statisches Konzept: Bestand: Massivbau (ca. 1970); Neubau: Zweigeschossiger Holz-­Hybrid-Bau
  • Materialkonzept: Bestand: verputzter Baukörper; Neubau: rhythmisierte Holzfassade
  • Außenwände: Neubau: Holzriegelwände, Holzfaserdämmung
  • Außenverkleidung: Neubau: rhythmisierte Tannen­schalung bzw. verleimte BSH-­Fichtenelemente
  • Innenverkleidung: Neubau: Trockenbauverkleidung
  • Innenwände: Neubau: Holzriegelwände oder BSH-Wände
  • Fenster: Bestand/Neubau: Holz-Alu-Fenster mit Dreifach-Isolierverglasung
  • Dach: Neubau: Holzrippendecke, Holzfaserdämmung
  • Fundamentplatte: Neubau: Plattenfundament aus Beton
  • Gebäudehülle: Bestand: verputzt; Neubau: rhythmisierte Holzfassade
  • Materialbedarf (Holz): gesamt verbautes Holz: 950 m³
  • Lüftung: Hybrides Lüftungssystem
  • Regenwasser­verwertung: Eigengrundversickerung